Julius Deutschbauer
„Deutschbauer wirkt ruinös“
Opening: 29.03.2023, 7 pm
Neulich in Hernals, Taubergasse 13, 1070 Wien
Bazon Brock
Wer hinsieht, muss auch wegsehen Erkennen durch Ruinieren
2023
Anlässlich der Ausstellung im MAK
Deutschbauers Monumentalisierungen von Pointen in Bild und Text nehmen stets kindlich faszinierende Formen an: Das Aufblasen des Luftballons ist ein Jahrmarktsvergnügen; das Schrumpfen nach Entweichen der Luft aber ein nicht planbarer Gestaltungsakt, also so etwas wie schöpferische Negation. Alle Welt legt es darauf an, uns zu faszinieren (hauptsächlich in der Warenpropaganda) – möglichst so lange, bis wir botschaftssatt in Museumsschlaf versinken. Das macht bildblind. Statt teurer Abhilfe durch Lasern bietet Deutschbauer das Lesen als Wegsehen vom Bild. Denn gelingt die Aneignung der Bilder nicht immer erst in der Erinnerung? Wer nicht wegsehen kann, glotzt bloß. Deutschbauers Präsentationen funktionieren wie das Erzählen von Witzen, die erst wirken, wenn man sie gesehen oder gehört hat – also im Nachklang, in den Nachbildern bei geschlossenen Augen. Den Höhepunkt dieses Verfahrens bietet er in seiner Serie der ungelesenen Bücher, die er in nicht gesehene Bilder und nicht verstandene Argumente überführt.
Kann man das Nichtverstehen verstehen? Oder das Versagen gekonnt zum faszinierenden Thema machen? Das historische Angebot, sich Fragen dieser Art dialektisch vom Halse zu halten, weckt nicht einmal mehr die Hütehunde des Herrn. Auch Luhmanns Wegleite in die Aporie erwies sich als Holzweg durch einen von Heidegger-Gegnern gerodeten Wald.
Die allgemeine Erfahrung lehrt, dass Bücher nur höchst selten in einem Zug bis zur letzten Seite gelesen oder Bilder bis in die letzte imaginäre Ebene Detail für Detail erfasst werden. Das Erfassen des Ganzen gelingt offensichtlich nicht in der Summierung aller Teile, sondern im Auseinandernehmen auf der Suche nach der inneren Logik des Gebildes. So geht jedes Kind vor und wird für dieses „Ruinieren“ getadelt, anstatt für seinen Erkenntnisdrang gelobt zu werden. Aber sollte man nicht dafür sorgen, dass die Trümmer als Bezeugung der Erkenntnis gewürdigt werden – wie Archäologen mit dem Abfall und den Trümmern der Zeiten das vergangene Leben bezeugen?
Deutschbauer ist ruinös. Er stiftet Erkenntnis, aber nicht wie Archäologen erst im Nachhinein, sondern im Vornherein. Denn prinzipiell gilt, die Vermittlung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, zwischen Vollendung und Vernichtung, nimmt in der Ruine Gestalt an. Man kann in diesem Sinne Deutschbauers Kunst als ein gelingendes Ruinieren verstehen und seine Präsentationen als programmatisch gestaltete Ruinen.
Begegnungen mit Menschen oder Tieren, Situationen oder Objekten werden nicht durch andauernde Analysen verlässlich einschätzbar. „Der erste Eindruck ist entscheidend“, sagt der Volksmund. Die Chemie stimmt oder sie stimmt nicht. Da helfen keine Argumente. Statt ängstigender Zumutung wählen wir gefällige Anmutung.
Wo aber bleibt der abgelegte Teil, die abgewiesene Zumutung, die verweigerte Akzeptanz? Der Prolet füttert damit seine Aversionen, der Kenner stärkt sich durch die Konfrontation mit allem, was ihm nicht als selbstverständlich geläufig oder evident ist.
Die Dialektik von Freund und Feind führte dazu, in sich selbst den Feind zu sehen. Die Tautologie ist die bloße Behauptung des Selben als etwas Anderes. Die Aporie bestätigt die Aussichtslosigkeit des Weiter-So. Aber die Nützlichkeit des Unnützen, die Bedeutsamkeit des Unwichtigen, die Hässlichkeit des Schönen fordern eine eigenartige Bestimmung jenseits von Waren- oder Ideenpropaganda, von Kunstwerk und Backwerk, von Haus und Ziegelhaufen.
Das sprechendste Bild für diese Konstellation ist die Ruine, die produktivste Form der Vermittlung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen ist das Ruinieren. Gerade gegenwärtig lernen wir, wie suggestiv und faszinierend die Ruinen einer Stadt sind, deren friedvoll-normales Erscheinungsbild uns bisher wenig sagte. Deutschbauer wirkt ruinös.