Lea DraegerÖkonomische Päpste und Päpstinnen29.04.–19.06.2022Ebensperger Berlin
Lea Draeger und Linda Peitz
Ökonomische Päpste und Päpstinnen
Interview
April 2022
Linda Peitz: In der Ausstellung zeigst du deine Serie „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“ erstmals in ihrer vorläufigen Gesamtheit. Wie bist du zur Auseinandersetzung mit diesen Figuren gekommen und welche Rolle spielt das System, das sie bilden?
Lea Draeger: Ausgehend von familienbiografischem Material sind die Ökonomischen Päpste und Päpstinnen aus meiner Beschäftigung mit Katholizismus und vor allem mit hierarchisch geprägten Gesellschaften und Familienstrukturen entstanden. Der Papst als solcher eignet sich dabei hervorragend als Symbol für eine patriarchale Figur. Meine Zeichnungen sind dabei keine Bildnisse tatsächlicher und historischer Päpste. Es sind die Gesichter und Figuren von Päpstinnen und Päpsten als institutioneller Körper in möglichen und unmöglichen Rollen und Situationen – die segnende Päpstin, die Medusa Päpstin, der betende, der böse, der Keimzellen Papst, die Kameradinnen Päpstin, die Darmspuck Päpstin, der Drei Falten Papst, die Sponsoren Päpstin, der ihr Kinderlein Kommet Papst. Mein Päpstinnen- und Papstsystem verstehe ich als Laboratorium. Es untersucht Machtverhältnisse und Strukturen, hantiert mit deren Insignien und unterwandert sie gleichzeitig, spielt mit Kategorien und Identitäten und hebelt sie gleichzeitig aus.
Am Anfang gab es die Päpste, erst später halten auch Päpstinnen Einzug in dein Laboratorium.
Die Päpstinnen traten recht schnell auf, sicherlich als notwenige Konsequenz auf das anfängliche nur durch Päpste geprägte System. Die erste Päpstin darin war tatsächlich Päpstin Johanna, die nach einem Mythos im 11. Jahrhundert amtiert haben soll. Es folgten die Clara Zetkin Päpstin, die Sissi Päpstin usw. Neben diesen historischen Vorbildern spielten die Päpstinnen anfangs vor allem gängige Frauenrollenbilder durch, begannen sich bald aber dagegen zu wehren und schließlich lösten sie sich ganz davon. Das Gleiche geschah mit den Päpsten, die ebenfalls gängige Geschlechterkategorien und Zuordnungen zu durchbrechen begannen.
Warum heißt die Serie „Ökonomische Päpste und Päpstinnen“?
Auf der einen Seite spielt der Titel mit der Wortähnlichkeit zu Ökumene, auf der anderen Seite auf den wirtschaftlichen Aspekt eines Systems an. Und gleichzeitig beruhen die Päpstinnen und Päpste tatsächlich auf einer ökonomischen Arbeitsweise. Sie ist sparsam, mit überlegt eingesetzt Mitteln und hat sich aus ganz pragmatischen Gründen so entwickelt. In der anfänglichen Entstehungszeit der Päpstinnen und Päpste war ich viel auf Reisen und die Zeichnungen ließen sich aufgrund ihrer kleinen Größe überall anfertigen, im Zug, zwischen zwei Terminen, im Restaurant oder auf dem Hotelzimmer. Auch der Materialaufwand mit Papier, Stift und einfachem Rahmen ist gering.
Die Idee der Sparsamkeit erscheint heute in Anbetracht der Masse an Zeichnungen natürlich absurd. Mittlerweile existieren weit über 6.000 Päpste und Päpstinnen. Wie hat sich der Umgang mit den Arbeiten über die Zeit verändert?
Anfangs waren es die „1000 ökonomischen Päpste“. Jede Päpstin und jeder Papst steht dabei einzeln für sich als Zeichnung und hat ihre oder seine Wertigkeit aber gleichzeitig bilden sie in ihrer Mehrzähligkeit für mich Versatzstücke, die sich zu immer neuen Arbeiten zusammenfügen lassen. Je nach Ort, je nach Raum, ordne ich Päpstinnen und Päpste zu unterschiedlichen Spannungsverhältnissen und Formationen an. In ihrer Gesamtheit funktionieren sie auch als ein Objekt im Raum, welches aufgrund der Masse erst bei näherer Betrachtung die einzelnen Figuren, Themen und Positionen erkennen lässt. Dabei wird nur ein Teil der einzelnen Bausteine ersichtlich, viele werden von der Gewalt des Ganzen verschlungen. Mich interessiert auch dieses Spannungsverhältnis zwischen fein gezeichneter Zeichnung und der sich in ihrer Vielstimmigkeit daraus ergebenden Skulptur.
Wie kann man sich den genauen Entstehungsprozess der Zeichnungen vorstellen?
Der Produktionsweg ist klar strukturiert und prozesshaft, die Themen folgen dem Fortgang der Zeit, sind unvorhersehbar, wendungsreich und unerschöpflich. Sowohl Tagespolitisches als auch meine Prioritäten, Interessen, Gedanken und Fragen zu bestimmten Themen fließen in die Zeichnungen mit ein, streckenweise dienen sie sogar als Tagebuch. Manchmal ist der Titel der konkreten Zeichnung in meinem Kopf präsent, manchmal ist es genau umgekehrt und der Name folgt der Zeichnung. Was die konkrete Technik angeht: Ich zeichne mit Kugelschreiber auf Transparentpapier, meistens eine Szene aus mehreren Figuren. Daraus schneide ich dann ein oder mehrere briefmarkengroße Porträts oder Szenenausschnitte aus, die ich wiederum auf Postkarten klebe. Diese Postkarte bekommt einen Clip-Rahmen, dessen Rückseite mit dem jeweiligen Titel versehen wird. Der Prozess ist in der Abfolge immer gleich. Für mich hat das Ganze auch etwas Performatives, dieses Ausüben und Weiterführen eines Rituals.
Jede Zeichnung hat einen Titel, sie heißen zum Beispiel „Prominenz Papst“, „Drei Grazien Papst“ „Peschmerga Päpstin“ oder „Prager Frühling Päpstin“. Welche Rolle spielen diese zusätzlichen Kategorien und Identitäten?
Manchmal stimmen die Titel mit dem Abgebildeten überein, manchmal überhaupt nicht. Mich interessiert, wie sich die Wahrnehmung des Bildes verändert, wenn der Titel hinzukommt. Da ich sie auf die Rückseite schreibe, werden Bild und Titel immer zeitversetzt wahrgenommen und nachträglich zusammengesetzt. Gleichzeitig sehe ich die Titel auch als eine Art Dialog. Hängt man viele Päpste und Päpstinnen nebeneinander, so entsteht über die Titel ein ausgedehnter, intensiver Dialog. Dieser Dialog lässt sich durch das stete Hinzukommen von neuen Figuren steigern, es ist sowohl ein gegeneinander als auch ein miteinander Sprechen.
Vorläufer deiner Zeichnungen sind die Künstler:innenbücher „Katholikenbus nach Lourdes“, „Magdalenas alte Tante Maria“, „Jesus im Seniorenheim“ und „Mutter Magda Märtyrerin“. Im Januar erschien dein Roman „Wenn ich euch verraten könnte“ bei hanserblau der Hanser Literaturverlage. Welche Bedeutung hat für dich die Verbindung zwischen Schreiben und zeichnerischer Arbeit?
Für mich gehen Schreiben und Zeichnen Hand in Hand, was in den Künstler:innenbüchern am ersichtlichsten ist, da sie Zeichnung und Text verbinden. Bei den Zeichnungen der Päpstinnen und Päpste kommt dies unter anderem durch die Wichtigkeit der Titel zur Geltung. Bild und Wort können gegenüberstellt ihre jeweilige Bedeutungsebene unterwandern, sie können sich aber auch ergänzen und sich gegenseitig befruchten. Mein Schreiben ist sehr bildhaft, meine Zeichnungen sehr konkret. Aus meinen Künstler:innenbüchern hat sich schließlich mein erster Roman entwickelt. Er erzählt eine über drei Generationen reichende Familiengeschichte, deren zentrales Thema das Schweigen ist. Die Enkelin der Geschichte bricht dieses Schweigen mit Worten. Sie stellt sich der von patriarchaler Gewalt geprägten Familienvergangenheit, beginnt darüber und dagegen anzuschreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte nämlich der Großvater, der Schriftsteller war, die Geschichte der Frauen geschrieben. Schreiben und Zeichnen sind für mich eine Art Selbstermächtigung über mich als Frau und über meine Geschichte. Sie sind meine Sprache.
Zeitgleich zu deiner Ausstellung findet im Kellergeschoss der Galerie eine Ausstellung über den Wiener Aktionisten Otto Muehl statt. Dem Künstler wurden eine autoritäre und hierarchische Organisation seiner Kommune am Friedrichshof vorgeworfen, Anfang der 90er-Jahre wurde er unter anderem wegen Missbrauchs Minderjähriger zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Wie reagierst du bzw. deine Arbeiten darauf?
Für mich ist klar, dass ich mich dazu positionieren muss. Sowohl meine Zeichnungen als auch mein Roman thematisieren ja unabhängig von Muehl Missbrauch, Unterdrückung, Ausbeutung, patriarchale Strukturen und Hierarchien sowie das Verschweigen von Dingen. Daher denke ich, man setzt sie unweigerlich in Bezug zu diesen konkreten Ereignissen. Darüber hinaus habe ich mich dazu entschieden, in der Vorbereitung zu dieser Ausstellung den Fokus einiger meiner Figuren zu verändern. Das bildet sich vor allem in meiner Auswahl der Päpste- und Päpstinnentitel für die Soundarbeit im Vorraum der Installation ab. Es tauchen auf der einen Seite vermehrt Päpste auf, in deren Titel Gewalt und Missbrauch eine Rolle spielt, und auf der anderen kämpfende, und sich behauptende Päpstinnen. In der Gesamtheit der zeichnerischen Serie, wie sie bis heute existiert und hier jetzt ausgestellt ist, treten die Päpstinnen und Päpste jedoch vielstimmiger auf und kommen in allen möglichen Schattierungen vor. Es ist interessant zu beobachten, dass sich die Figuren in meinem Laboratorium mit der Zeit zu großen Teilen von einem dualistischen Weltbild befreit haben. Sie haben ein System geschaffen, das zwar weiterhin patriarchale und hierarchisch geprägte Strukturen beleuchtet, darüber hinaus aber die Macht von Deutungshoheiten und Kategorisierungen auf den Kopf stellt und Platz für Utopien schafft, in denen diese machtmissbräuchlichen Auswüchse überwunden werden.